Zwischen Etüde und Ekstase:
Bonn · Jazzfest Bonn in der Kapelle des Leoninums mit einem Abend voller musikalischer Kontraste – von meditativen Etüden über barocke Improvisationen bis hin zu eruptivem Avantgarde-Jazz.
Von Thomas Kliemann
Üben, üben, üben. Wer wie der Österreicher Wolfgang Muthspiel in der Champions League der Gitarristen mitspielen will – als Nachfolger von Pat Metheny in der Band von Gary Burton, als Partner von Größen wie Rebekka Bakken, Gary Peacock oder Brad Mehldau, um nur einige zu nennen –, der muss geübt haben. Und muss es immer noch tun.
Muthspiel hat diese Binsenweisheit nicht nur zum Ausgangspunkt seines exzellenten Albums Etudes/Quietudes gemacht, sondern auch seinen Auftritt am Samstag beim Jazzfest Bonn in der stimmungsvollen Kapelle des Leoninums damit eröffnet. 35 Minuten lang lauschte das Publikum gebannt dem stetigen Fluss der Etüden – wahren Fingerübungen –, in denen Muthspiel Techniken, Akkorde, Intonationen, Stimmungen und Grenzbereiche des Gitarrenspiels auslotete.
Längst hat sich das ursprünglich didaktisch konzipierte Etüdenwerk zu einem Steinbruch für ausgedehnte Improvisationen entwickelt – wie im Leoninum auf faszinierende Weise zu hören war. Doch auch in seiner ursprünglichen Form besitzt es für den Zuhörer einen besonderen Reiz: Es zeigt exemplarisch den Baukasten des Gitarrenspiels. Diesen nutzte Muthspiel – erweitert durch spannende Sampling-Effekte – etwa für eine Bearbeitung von Bachs Sarabande aus der g-Moll-Suite für Laute. Vom Original führte er über in einen lockeren, betörend frei gestalteten Improvisationsteil – mit dem erklärten Plan, „dann hoffentlich wieder zum Meister zurückzukehren“. Das gelang ihm eindrucksvoll.
Zum Abschluss schenkte Muthspiel dem Publikum eine wunderschöne Komposition, die das mittelalterliche Amore meum mit dem Beatles-Klassiker All My Loving verband. Das war längst keine kleine Etüde mehr, sondern ein kleines Meisterwerk.
General Anzeiger, Bonn , 5. Mai 2025