Rising Grace, SWR2

Musik aus der Dankbarkeit geboren
Wolfgang Muthspiel, „Rising Grace“

CD-Tipp am 27.1.2017 von Rainer Schlenz

Wer es in New York schafft, der schafft es überall. So hört man es immer wieder auch von Musikern. Der Österreicher Wolfgang Muthspiel ist so ein Fall: Als junger Jazzgitarrist hat er sich in New York etabliert, kam irgendwann wieder zurück nach Europa, traf hier auf große Namen wie die Jazzsängerin Rebekka Bakken. Jetzt hat Muthspiel eine CD auf einem Label herausgebracht, das wie kaum ein anderes für einen spezifisch europäischen Jazzbegriff steht: dem Münchner Label ECM. Interessanterweise ist der Österreicher Muthspiel aber von einer durch und durch amerikanischen Band umgeben.

Father and sun – der Vater und seine Sonne
Wolfgang Muthspiel war nie auf Krawall aus, seine Musik war nie sperrig. Aber dieses Album „Rising Grace“ ist auch für ihn auffällig harmonisch, beseelt im positivsten Sinne. Und das hat seinen Grund, Wolfgang Muthspiel: „In der Zeit, wo ich das ganze Programm eigentlich komponiert hab, ist unsere Tochter geboren. Und die hat einen relativ schweren Start gehabt. Und das ist aber dann alles sehr gut gegangen. Und das war eine Art Gnade für uns, das zu erleben.“
„Father and Sun“ heißt dieses Stück. Was nicht für Vater und Sohn steht, das wäre absurd nach der Geburt einer Tochter. Sun wird mit U statt O geschrieben. Der Vater und seine Sonne. Und in der Tat bringt diese Band die Musik zum Leuchten. Dahinter steckt eine gemeinsame Auffassung von Wolfgang Muthspiel und seinem Pianisten Brad Mehldau: Eleganz und Strahlen gehen vor allem von sparsam gesetzten Akkorden aus.

Musik, die in altbewährter Weise leuchtet
Wolfgang Muthspiel sagt dazu: „Wenn man die zudeckt mit zu viel Noten, dann wird das Ganze irgendwie so wollig und fett und verliert dann seinen Reiz. Und das sind so ganz subtile Sachen, die man gar net wirklich in ein System fassen kann. Brad Mehldau ist da ein absoluter Meister darin. Und auch was das Begleiten betrifft, also das ist ganz subtil.“
Musik: Ending Music
Muthspiel verfolgt mit seinen Musikern eher einen kammermusikalischen Ansatz: So steht die CD „Rising Grace“ hörbar in der Tradition des Labels ECM, verweist auf Musiker wie den 2014 verstorbenen Trompeter und Flügelhornspieler Kenny Wheeler. Es schwingen Klänge und Denkweisen legendärer Alben vergangener Jahrzehnte mit. So weit, so grandios. Aber bringt das Album den Jazz nach vorne? Muthspiels Antwort ist eindeutig: Nein!: „Ich muss dazusagen, dass Innovation in meinem Schaffen keinen Stellenwert hat. Mein Anliegen ist nur, Musik zu machen, die mir gefällt und die mich glücklich macht – beim Schreiben und beim Spielen. Aber ich denk beim Musikmachen nicht daran, ob’s jetzt eine Innovation ist oder nicht.“
Ein junger Trompeter, der wie ein alter spielt
Zu den Glücklichmachern seiner Band gehört ein Trompeter: Ambrose Akinmusire ist jung, aber so talentiert, dass er klingt, als hätte er Jahrzehnte Erfahrung. Er scheint einfach alles zu können: hat eine hochintelligente Art inside / outside zu spielen, sich also zunächst innerhalb des Akkordgefüges zu bewegen, dann phasenweise daraus auszusteigen. Er törnt die Band mit kleinsten Impulsen an und hat den Mut, Risiken einzugehen, harmonisch wie klanglich. Wolfgang Muthspiel erläutert: „Manchmal wird’s auch ein bisschen intense und ugly. Und das ist eine heikle Balance, die er wunderbar beherrscht, also quasi Spannung zu geben, Würze zu geben, und im richtigen Moment sich aber da wieder einzukriegen und auch die Stücke immer noch zu respektieren.“
Das macht „Rising Grace“ so überzeugend: Jeder bringt Persönlichkeit ein, aber die Musik steht ganz oben, nicht die Musiker. Der Österreicher Wolfgang Muthspiel ist umgeben von Amerikanern. Aber da prallen keine Welten aufeinander. Muthspiel ist ebenso vom New Yorker Jazz beeinflusst wie Brad Mehldau von europäischer Klassik und Romantik. „Rising Grace ist aus der Dankbarkeit geboren“, sagt Muthspiel. Und die hört man jedem Ton an.

CD-Tipp am 27.1.2017 aus der Sendung „SWR2 Journal am Mittag“

 

 

 

Dance of The Elders

Jazz CD der Woche, ****
Das zweiteilige, meditative Eingangsstück «Invocation» zählt mit dem «Folksong», der die unwiderstehliche Eingängigkeit mancher Keith-Jarrett-Kompositionen hat, zu den Glanzlichtern des Albums. Neben Muthspiels eigenen Stücken überzeugen auch eine nachdenkliche Improvisation, die in Bachs Choral «Oh Haupt voll Blut und Wunden» mündet, eine Variation über das «Liebeslied» von Weill/Brecht und eine weitere über Joni Mitchells «Amelia». Muthspiel, ein Mann von vielen Talenten, zeigt sich auf diesem Album vor allem als versonnener Klangpoet.
NZZ, Manfred Pabst

Dance of The Elders

In a musical landscape often dictated by genre-bending fusion and high-octane virtuosity, Wolfgang Muthspiel’s latest album, ‘Dance of the Elders’, offers a refreshing blend of complexity and coherence. The Austrian guitarist, long revered for his intricate compositional techniques and nuanced guitar work, reunites with bassist Scott Colley and drummer Brian Blade in a follow-up to their lauded previous release, ‘Angular Blues.’ Together, they have crafted an opus that defies modern jazz’s limitations and encapsulates folk, classical, and world music elements. Muthspiel is a jazz guitarist with an expansive musical palette. He is flanked by Colley, a bassist whose reputation for innovative playing precedes him, and Blade, a drummer known for his textural approach and dynamic range. Together, the trio presents a unique blend of skills, bound by a chemistry honed through years of collaboration and extensive touring. Their partnership shows what’s possible when musicians of this caliber come together, creating a canvas that allows each artist to paint with their unique palette of sounds. ‘Dance of the Elders’ arrives as a significant statement in Muthspiel’s discography. Building upon the successes of previous works, it broadens the ensemble’s explorations into new musical territories. At its core, the album seeks to engage listeners in a journey—one that incorporates a wide array of influences while offering a cohesive narrative that only seasoned musicians could present. This creative vision comes to life in a meticulous track-by-track narrative that is a singular accomplishment in today’s jazz landscape.

Illiam Sebitz, 5 Finger Reviews

Dance of The Elders

Deeply imbued in classical music (jazz came later), it’s no surprise to hear Muthspiel embracing a Bach chorale, although typically he starts from an improvisational space pitched against Colley’s arco bass. The Bach theme magically appears only briefly at the climax, resolving the steel acoustic’s meditation […] And when you thought the gentle giant could fly no higher, in flows Joni’s ’Amelia’. Here and throughout Blade’s spacious yet precise drums give Muthspiel all the room he needs yet never cease to surprise with colours and shapes that reflect the decade or so that he and Muthspiel have collaborated. A gift of an album, which words are too clumsy to describe. Just buy it.

Andy Robson, Jazzwise (Editor’s choice)

Dance of The Elders

Not that any validation of these delicately-nuanced forty-four some minutes is necessary —the harmonic notes that most appropriately decorate this title song come from all three instrumentalists—but co-production and mixing by the label founder himself Manfred Eicher, along with with the artist and Gérard de Haro — stands as affirmation of the unity of effort on the part of all involved. Both acoustic and electric textures benefit from the sonic definition and, as a result, the album conjures an altogether mesmerizing effect

Doug Collette, All About Jazz

Dance of the elders

Das in zahlreichen Tourneen zusammengeschweißte Dream-Team, das mittlerweile das frühere Trio mit Larry Grenadier und Jeff Ballard als Working-Band abgelöst hat, präsentiert einmal mehr ein kammermusikalisch anmutendes Kleinod. Drei viertel Stunden lang lässt es sich in angenehmer Ruhe und Schönheit schwelgen, wobei der ästhetische Feinspitz Muthspiel bei genauem Hinhören nicht nur mit seinem sicheren Gespür fürs Melodische zu begeistern vermag, sondern auch mit zahlreichen Raffinessen harmonischer und rhythmischer Art, die dem Wohlklang die dazugehörende Würze verpassen. Colley und Blade verleihen dem rhythmischen Grundgerüst Stabilität und Leichtigkeit zugleich und scheinen selbst vertrackteste Passagen locker aus dem Ärmel zu schütteln. In Muthspiels Spielweise auf der akustischen und elektrischen Gitarre verbinden sich Jazz-, Klassik- und Folk-Elemente zu atmosphärisch angenehmen und emotional ansprechenden Klangbildern und lässigen Grooves, die weit entfernt sind von gitarristischen Eitelkeitsdarbietungen oder schierem Virtuosentum. […] Ein durch und durch gelungenes Album, von Manfred Eicher in gewohnter Weise souverän produziert.

Peter Füssl, Kulturzeitschrift AT

Dance Of The Elders

Dem Trio gelingt auf ‘Dance Of The Elders’ eine Klangreise von rarer Intimität. So ungewöhnlich der Entschluss des Produzenten Manfred Eicher bei der Abmischung des Albums erscheint, das Werk mit einem an der Oberfläche extrem ereignisarmen, gut zehn Minuten langen, Stück zu eröffnen: ‘Invocation’ wird das Zeitempfinden vieler Hörer sanft ausser Kraft setzen. Unversehens gerät man in den Sog einer Jazzkammermusik, die manche Echos aus den Siebziger Jahren bereithält, etwa eine sanft fesselnde Version von Joni Mitchells ‘Amelia’, aus ihrem Klassiker ‘Hejira’, oder eine Reminiszenz an das legendäre ‘Belonging’-Quartett von Keith Jarrett.

Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk

Dance of The Elders

Jetzt legt er sein jüngtes Album vor, mit dem Trio, mit dem er auf ausgedehnten Tourneen durch Europa, die USA und Japan unterwegs war: Am Schlagzeug sein alter Freund Brian Blade, am Bass Scott Colley. ’Dance of the Elders’ ist sozusagen das Resultat dieser intensiven Live-Erfahrung – das Meisterwerk eines dicht integrierten Trio-Jazz, einer konzentrierten und gleichzeitig offenen, folgerichtigen und überraschenden Musik dreier Partner, die alle weniger auf Selbstinszenierung aus sind als auf die behutsame Entwicklung eines inspirierten gemeinsamen Klangs. […] Wolfgang Muthspiel, Autor  von fünf der sowohl anrührenden wie komplexen Stücke, mal folk-inspiriert (‘Folksong’), mal auf Klassisches bezogen (‘Prelude to Bach’), schafft auf dem akustischen wie auf dem elektrischen Instrument (inklusive behutsamer elektronischer Weiterungen) seinen ganz eigenen Sound. Auch in seiner Lesart von Kurt Weills ’Liebeslied’ und Joni Mitchells ‘Amelia’. Transparente, vielschichtige, lebendige Musik. 

  Peter Rüedi, Weltwoche

Dance of the Elders

This is Muthspiel’s sixth album for ECM, and like many of the artists on the label his playing falls somewhere between lyrical and atmospheric, incorporating hints of both folk and classical music into his jazz where space seems to be the fourth collaborator. Needless to say, there is plenty of room for group interplay and the beauty is found in the nuances. […] There are no wasted notes, no overt showmanship, just intimate trio interaction that yields beautifully flowing, mesmerizing music. Sometimes it conjures such inexplicable curiosity, that you’ll return thinking you may have missed something the first time through.

 

Jim Hynes, Glide Magazine

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“

 

Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“
Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“
Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

Der geometrisch dekonstruierte Titeltrack verrät seine blues-basierte Konsistenz nur mit viel Gegenwehr und rückt das Zusammenspiel dreier gleichberechtigter Stimmen in den Fokus. Vier Akkorde und ein melodisches Motiv charakterisieren die verträumt minimalistischen ‘Hüttengriffe’, während die maximale Verzögerung des Delay-Pedals  auf einem Kanon im solistischen Vortrag und einem zweiten in tutti zu tragen kommt. Zwei Standards wurden in das gelungene Set ebenfalls eingestreut und runden eine sehr stimmige Trioaffäre elegant ab.

Friedrich Kunzmann (Concerto)