Rising Grace, Rytz

Das Wolfgang Muthspiel Quintett zieht den Stecker

Peter E. Rytz

Wolfgang Muthspiel beendet seine Tour 2017 in der Philharmonie Essen mit ein wenig Wehmut. Sein Quintett habe so wunderbar harmoniert, und es habe so viel Freude gemacht, gemeinsam  auf der Bühne zu stehen (oder zu sitzen).
Dies erlebt das Publikum im Alfried-Krupp-Saal gleich beim ersten Stück, das die Brillanz der hier zusammengekommenen Musiker zum Leuchten bringt. Es ist der Tribute Song für den weltbekannten, im Jahre 2014 verstorbenen Trompeter und Flügelhornisten Kenny Wheeler – Den Wheeler, den Kenny – verrät der  Muthspiel augenzwinkernd. Und er stellt seine Musiker vor.
Am Flügel sitzt Gwylim Simcock. Das Publikum sieht meist nur seinen gekrümmten Rücken, hört jedoch umso besser seine wunderbaren Einsätze, Klangkaskaden, die lyrischen und auch die stark rhythmisierten Soli.
Stets ist der Pianist im Dialog mit dem zentral platzierten und ebenso agierenden Bassisten Scott Colley. Dieser zupft und schwingt mit seinem großen Körper , den Bass immer eng bei sich,  und er scheint der maßgebliche Kommunikator der Gruppe zu sein.  Sein Humor steckt sie alle an, auch den Drummer Brian Blade.
Blade ist seit 20 Jahren ein musikalischer Weggefährte Wolfgang Muthspiels. Im Jahr 2008 wurde er von der Zeitschrift Modern Drummer zum besten zeitgenössischen Jazzschlagzeuger des Jahres gekürt. Sein Spiel wirkt zurückhaltend, doch auch wunderbar präsent, improvisierend sich einfügend in das Ganze. Man muss sich akustisch auf seinen Part konzentrieren, um die Feinheit und Besonderheit dieses Spiels würdigen zu können.
Eine besondere Position nimmt der Trompeter Ambrose Akinmusire ein. Der junge Amerikaner mit nigerianischen Wurzeln gehört zu den Shootingstars der aktuellen Jazzszene. Er ist mehrfach preisgekrönt und vertritt seine Generation durch sehr eigenständiges, gewagt erscheinendes Spiel. Wenn er in seine Soli ganz lyrisch einsteigt, dann kann es sein, dass man, wenn man die Augen schließt, plötzlich meint, verschiedene Trompeter auf der Bühne zu haben. So variabel versteht der Musiker sein Instrument einzusetzen – von an Miles Davis orientiertem Sound bis zu Großstadtgeräuschen –, alles  bringt sein Instrument hervor, auf dem er , ganz vorn an der Rampe stehend, auf fast einsame Weise bläst.
Der Bandleader Wolfgang Muthspiel hebt sich schon optisch von seinen vier schwarz gekleideten Musikern ab. Er sitzt – ganz ordentlich in weißem Hemd und Weste , auf dem Kopf die Mütze als sein Markenzeichen – ganz rechts am Rand und lenkt auf sehr ruhige, unaufgeregte Art das Geschehen auf der Bühne. Seine Ansagen sind sparsam, wirken uneitel wie auch sein exzellentes Spiel auf der elektronischen Gitarre. Wenn Muthspiel einsetzt, meint man mitunter einen Synthesizer zu hören, die Musik ist irgendwie nicht zu orten, sie schwebt durch den ganzen Raum.  Nur einmal setzt er zur Freude des meist silberköpfigen  Publikums auch die akustische Gitarre ein, und es scheint fast eine Rückkehr in die neunziger Jahre möglich, als er damals – im Duo mit der norwegischen Sängerin Rebekka Bakken – die Hörer verzauberte.
Wolfgang Muthspiel lebt heute in Wien, das er 1986 verließ, um nach 16 Jahren wieder nach Österreich zurückzukehren. Als international außerordentlich renommierter Gitarrist, Sideman und Bandleader, Gründer eines Plattenlabels sowie Unterstützer junger Nachwuchskünstler lehrt er an der Musikhochschule Basel das Fach Gitarre. In der Philharmonie Essen stellt Muthspiel einige Titel seiner letzten CD aus dem Jahr 2016 vor. Stücke wie Father and Sun (für seine Tochter), Superronny (für Ronnie Scott) oder Intensive Care (eine Ballade aus der Intensivstation mit gutem Ausgang) begeistern das Publikum.
Dieses Publikum lechzt nach anderthalb Stunden nach einer Zugabe und auch nach einer weiteren. Wolfgang Muthspiel und sein Quintett kommen diesem heftigen Wunsch gerne nach, doch bei der zweiten Zugabe wird mitten im Spiel sozusagen der Stecker gezogen – zum großen Vergnügen der Fangemeinde und der Musiker ebenso. Sehr herzlicher Applaus des Essener Publikums verabschiedet die Musiker am Ende ihrer Tournee.
Ein sehr intensiver Abend mit wunderbarer Musik geht im Alfried-Krupp-Saal zu Ende, der übrigens trotz seiner mächtigen Ausmaße durch einen hohen rückwärtigen Bühnenvorhang und geschickte Beleuchtung zu einer unerwartet intimen Atmosphäre beitragen konnte.

 

 

 

 

Dance of The Elders

Jazz CD der Woche, ****
Das zweiteilige, meditative Eingangsstück «Invocation» zählt mit dem «Folksong», der die unwiderstehliche Eingängigkeit mancher Keith-Jarrett-Kompositionen hat, zu den Glanzlichtern des Albums. Neben Muthspiels eigenen Stücken überzeugen auch eine nachdenkliche Improvisation, die in Bachs Choral «Oh Haupt voll Blut und Wunden» mündet, eine Variation über das «Liebeslied» von Weill/Brecht und eine weitere über Joni Mitchells «Amelia». Muthspiel, ein Mann von vielen Talenten, zeigt sich auf diesem Album vor allem als versonnener Klangpoet.
NZZ, Manfred Pabst

Dance of The Elders

In a musical landscape often dictated by genre-bending fusion and high-octane virtuosity, Wolfgang Muthspiel’s latest album, ‘Dance of the Elders’, offers a refreshing blend of complexity and coherence. The Austrian guitarist, long revered for his intricate compositional techniques and nuanced guitar work, reunites with bassist Scott Colley and drummer Brian Blade in a follow-up to their lauded previous release, ‘Angular Blues.’ Together, they have crafted an opus that defies modern jazz’s limitations and encapsulates folk, classical, and world music elements. Muthspiel is a jazz guitarist with an expansive musical palette. He is flanked by Colley, a bassist whose reputation for innovative playing precedes him, and Blade, a drummer known for his textural approach and dynamic range. Together, the trio presents a unique blend of skills, bound by a chemistry honed through years of collaboration and extensive touring. Their partnership shows what’s possible when musicians of this caliber come together, creating a canvas that allows each artist to paint with their unique palette of sounds. ‘Dance of the Elders’ arrives as a significant statement in Muthspiel’s discography. Building upon the successes of previous works, it broadens the ensemble’s explorations into new musical territories. At its core, the album seeks to engage listeners in a journey—one that incorporates a wide array of influences while offering a cohesive narrative that only seasoned musicians could present. This creative vision comes to life in a meticulous track-by-track narrative that is a singular accomplishment in today’s jazz landscape.

Illiam Sebitz, 5 Finger Reviews

Dance of The Elders

Deeply imbued in classical music (jazz came later), it’s no surprise to hear Muthspiel embracing a Bach chorale, although typically he starts from an improvisational space pitched against Colley’s arco bass. The Bach theme magically appears only briefly at the climax, resolving the steel acoustic’s meditation […] And when you thought the gentle giant could fly no higher, in flows Joni’s ’Amelia’. Here and throughout Blade’s spacious yet precise drums give Muthspiel all the room he needs yet never cease to surprise with colours and shapes that reflect the decade or so that he and Muthspiel have collaborated. A gift of an album, which words are too clumsy to describe. Just buy it.

Andy Robson, Jazzwise (Editor’s choice)

Dance of The Elders

Not that any validation of these delicately-nuanced forty-four some minutes is necessary —the harmonic notes that most appropriately decorate this title song come from all three instrumentalists—but co-production and mixing by the label founder himself Manfred Eicher, along with with the artist and Gérard de Haro — stands as affirmation of the unity of effort on the part of all involved. Both acoustic and electric textures benefit from the sonic definition and, as a result, the album conjures an altogether mesmerizing effect

Doug Collette, All About Jazz

Dance of the elders

Das in zahlreichen Tourneen zusammengeschweißte Dream-Team, das mittlerweile das frühere Trio mit Larry Grenadier und Jeff Ballard als Working-Band abgelöst hat, präsentiert einmal mehr ein kammermusikalisch anmutendes Kleinod. Drei viertel Stunden lang lässt es sich in angenehmer Ruhe und Schönheit schwelgen, wobei der ästhetische Feinspitz Muthspiel bei genauem Hinhören nicht nur mit seinem sicheren Gespür fürs Melodische zu begeistern vermag, sondern auch mit zahlreichen Raffinessen harmonischer und rhythmischer Art, die dem Wohlklang die dazugehörende Würze verpassen. Colley und Blade verleihen dem rhythmischen Grundgerüst Stabilität und Leichtigkeit zugleich und scheinen selbst vertrackteste Passagen locker aus dem Ärmel zu schütteln. In Muthspiels Spielweise auf der akustischen und elektrischen Gitarre verbinden sich Jazz-, Klassik- und Folk-Elemente zu atmosphärisch angenehmen und emotional ansprechenden Klangbildern und lässigen Grooves, die weit entfernt sind von gitarristischen Eitelkeitsdarbietungen oder schierem Virtuosentum. […] Ein durch und durch gelungenes Album, von Manfred Eicher in gewohnter Weise souverän produziert.

Peter Füssl, Kulturzeitschrift AT

Dance Of The Elders

Dem Trio gelingt auf ‘Dance Of The Elders’ eine Klangreise von rarer Intimität. So ungewöhnlich der Entschluss des Produzenten Manfred Eicher bei der Abmischung des Albums erscheint, das Werk mit einem an der Oberfläche extrem ereignisarmen, gut zehn Minuten langen, Stück zu eröffnen: ‘Invocation’ wird das Zeitempfinden vieler Hörer sanft ausser Kraft setzen. Unversehens gerät man in den Sog einer Jazzkammermusik, die manche Echos aus den Siebziger Jahren bereithält, etwa eine sanft fesselnde Version von Joni Mitchells ‘Amelia’, aus ihrem Klassiker ‘Hejira’, oder eine Reminiszenz an das legendäre ‘Belonging’-Quartett von Keith Jarrett.

Michael Engelbrecht, Deutschlandfunk

Dance of The Elders

Jetzt legt er sein jüngtes Album vor, mit dem Trio, mit dem er auf ausgedehnten Tourneen durch Europa, die USA und Japan unterwegs war: Am Schlagzeug sein alter Freund Brian Blade, am Bass Scott Colley. ’Dance of the Elders’ ist sozusagen das Resultat dieser intensiven Live-Erfahrung – das Meisterwerk eines dicht integrierten Trio-Jazz, einer konzentrierten und gleichzeitig offenen, folgerichtigen und überraschenden Musik dreier Partner, die alle weniger auf Selbstinszenierung aus sind als auf die behutsame Entwicklung eines inspirierten gemeinsamen Klangs. […] Wolfgang Muthspiel, Autor  von fünf der sowohl anrührenden wie komplexen Stücke, mal folk-inspiriert (‘Folksong’), mal auf Klassisches bezogen (‘Prelude to Bach’), schafft auf dem akustischen wie auf dem elektrischen Instrument (inklusive behutsamer elektronischer Weiterungen) seinen ganz eigenen Sound. Auch in seiner Lesart von Kurt Weills ’Liebeslied’ und Joni Mitchells ‘Amelia’. Transparente, vielschichtige, lebendige Musik. 

  Peter Rüedi, Weltwoche

Dance of the Elders

This is Muthspiel’s sixth album for ECM, and like many of the artists on the label his playing falls somewhere between lyrical and atmospheric, incorporating hints of both folk and classical music into his jazz where space seems to be the fourth collaborator. Needless to say, there is plenty of room for group interplay and the beauty is found in the nuances. […] There are no wasted notes, no overt showmanship, just intimate trio interaction that yields beautifully flowing, mesmerizing music. Sometimes it conjures such inexplicable curiosity, that you’ll return thinking you may have missed something the first time through.

 

Jim Hynes, Glide Magazine

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“

 

Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“
Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

They grow up so fast. It seems like just yesterday that a wave of compelling young jazz guitarists—Liberty Ellman, Kurt Rosenwinkel, and Wolfgang Muthspiel among them – was bringing new life to the instrument. Now those players are middle-aged, with a new crop of nimble plectrists snapping at their heels. But Muthspiel’s „Angular Blues“ proves that gifted improvisers can hit their stride in their autumn years. He doesn’t let his agile fingers do all the thinking for him: his lines breathe rather than pant, particularly on the first three tracks, which feature acoustic guitar. Partnered with two receptive players—the drummer Brian Blade and the bassist Scott Colley—Muthspiel demonstrates his artistic maturity, but he still finds moments to loosen the reins, as on the aptly tided „Ride.“
Steve Futterman (New Yorker)

Angular Blues

Der geometrisch dekonstruierte Titeltrack verrät seine blues-basierte Konsistenz nur mit viel Gegenwehr und rückt das Zusammenspiel dreier gleichberechtigter Stimmen in den Fokus. Vier Akkorde und ein melodisches Motiv charakterisieren die verträumt minimalistischen ‘Hüttengriffe’, während die maximale Verzögerung des Delay-Pedals  auf einem Kanon im solistischen Vortrag und einem zweiten in tutti zu tragen kommt. Zwei Standards wurden in das gelungene Set ebenfalls eingestreut und runden eine sehr stimmige Trioaffäre elegant ab.

Friedrich Kunzmann (Concerto)