Angular Blues

Das Magazin ‚New Yorker‘ hat Wolfgang Muthspiel als „ein helles Licht“ unter den heutigen Jazzgitarristen bezeichnet – nun kehrt der österreichische Musiker nach seinem Trio-Debüt und zwei umjubelten Quintettveröffentlichungen mit Angular Blues, seinem vierten ECM-Album als Leader, zum Trio-Format zurück. Wie schon auf Driftwood‘ – der 2014 erschienenen Trio-Scheibe, die vom US-Magazin JazzTimes als „filmisch“ und „eindringlich“ beschrieben wurde – spielt der Gitarrist auf Angular Blues mit seinem langjährigen Kollegen Brian Blade am Schlagzeug zusammen; aber statt Larry Grenadier am Bass ist es diesmal Scott Colley, dessen besonders erdiger Klang diesem Trio seine eigene Dynamik verleiht. Muthspiel spielt auf drei Stücken des Albums akustische und auf sechs weiteren Stücken elektrische Gitarre. Neben seinen charakteristisch melodischen Eigenkompositionen – darunter Highlights wie das idyllische „Hüttengriffe“ und das nachdenkliche „Camino“ – veröffentlicht er die ersten Standards seiner ECM-Karriere („Everything I Love“ und „I’ll Remember April“) sowie seine erste Melodie über Bebop-Changes auf Platte („Ride“). Angular Blues bietet auch einen einzigen reinen Gitarrentitel, „Solo Kanon in 5/4“, mit Muthspiels elektronischem Delay, das die barockartigen Figuren mit einem hypnotischen Glanz durchzieht.

Muthspiel, Colley und Blade haben Angular Blues nach drei Nächten im Cotton Club in Tokio  im Studio Dede aufgenommen. Das Album wurde unter Beteiligung von Manfred Eicher in den südfranzösischen Studios La Buissonne gemischt, wo Muthspiel seine beiden vorherigen ECM-Alben Rising Grace und Where the River Goes(beide mit dem Pianisten Brad Mehldau und dem Trompeter Ambrose Akinmusire) aufgenommen hatte. Jede der Gruppen, die Muthspiel für seine ECM-Aufnahmen zusammengestellt hat, hatte eine spezielle Binnen-Chemie.

Der in Louisiana geborene Blade ist seit 2000 Mitglied des Wayne Shorter Quartetts und hat mit Musikern wie Bob Dylan, Joni Mitchell, Daniel Lanois und Norah Jones bis hin zu Charlie Haden, Herbie Hancock, Chick Corea und Joshua Redman Aufnahmen gemacht. Seit Mitte der 90er Jahre ist Blade auch Co-Leader der Gospel-beeinflussten Fellowship-Band. Über den subtil virtuosen Schlagzeuger sagt Muthspiel: „Brian ist berühmt für seinen Sound und seinen Anschlag, diese schwebende Spielweise, wie er mit relativ geringer Lautstärke Intensität erzeugt. Es ist auch eine große Freude für mich zu erleben, wie sensibel Brian in seinem Spiel darauf reagiert, ob ich akustische oder elektrische Gitarre spiele. Ich habe im Laufe der Jahre viele Konzerte und Produktionen mit ihm gemacht, unter anderem in unserem Gitarren-Drum-Duo Friendly Travelers sowie auf den Alben Driftwood und Rising Grace. Er bietet immer totale Interaktion und Initiative sowie seinen individuellen Sound. Uptempo-Swing bei so etwas wie ‚Ride‘ mit Brian zu spielen, war wirklich ein Geschenk“.

Colley, zu dessen frühen Mentoren Charlie Haden gehörte, war der Bassist der Wahl für Jazz-Legenden wie Jim Hall, Andrew Hill, Michael Brecker, Carmen McRae und Bobby Hutcherson und spielte auf Alben von Herbie Hancock, Gary Burton, Pat Metheny, John Scofield, Chris Potter und Julian Lage. Colley, ist in Los Angeles geboren und hat als Leader bislang acht Alben veröffentlicht. „Scott und Brian haben in den letzten Jahren auch viel zusammen gespielt, so dass sie sich gut kennen“, merkt Muthspiel an. „Ich bin mit Scott in den 90er Jahren in New York aufgetreten, und ich hatte immer das Gefühl, dass er ein extrem großzügiger Musiker ist, der – mit seinem warmen Ton und seinem flexiblen, tanzenden Rhythmus – gleichzeitig die Musik belebte und unterstützte. Ich habe die Basslinie der ersten Melodie des neuen Albums, ‚Wondering‘, speziell für ihn geschrieben. Sein Klang entwickelt eine fließende und harmonische Bewegung, die zum Weiterspielen einlädt.“

Nach „Wondering“ – zu dem auch ein ausgedehntes Solo von Colley gehört, das wunderschön in Muthspiels Melodie eingewoben ist – kommt der Titelsong des Albums, der wegen seiner „rhythmischen Modulationen und seltsamen Brüche“ so betitelt ist, erklärt der Gitarrist. „Irgendwie war das Album Three Quartets von Chick Corea eine Assoziation, aber Thelonious Monk war es auch.“ Diese ersten beiden Titel sowie der dritte, „Hüttengriffe“, zeigen Muthspiel auf der Akustikgitarre; sein Klang auf dem Instrument ist sowohl warm als auch außergewöhnlich fließend. Danach – auf „Camino“, „Ride“, „Everything I Love“, „Kanon in 6/8“, „Solo Kanon in 5/4“ und „I’ll Remember April“ – spielt er elektrisch. Muthspiels stets flüssige elektrische Phrasierung trägt sowohl ein emotionsgeladenes Original wie „Camino“ als auch die beiden verschiedenen Versionen des kaleidoskop-artigen „Kanon“, die Trio-Fassung im 6/8 und die solistische, größtenteils improvisierte Wiedergabe im 5/4-Format.

Erstmals hat Muthspiel auch Jazzstandards auf einem seiner ECM-Alben eingespielt: „Ich wurde inspiriert, mit diesem Trio Standards aufzunehmen, weil sich alles an der Art und Weise, wie die Gruppe spielt, so frei, offen und weit entfernt von vorgefassten Ideen anfühlt. Aber im entscheidenden Moment wird eine Jazzsprache gesprochen – was wir tun, wird diesen Melodien gerecht. Ich lernte ‚Everything I Love‘, den Cole Porter-Song, von einem frühen Keith Jarrett-Album, und ‚I’ll Remember April‘ lernte ich zum ersten Mal auf einer Frank Sinatra-Aufnahme kennen. Bei dem letztgenannten Song soliere ich kaum. Es geht mehr um den Anfang und die von einem ‚Vamp‘ geprägte Atmosphäre, die von Anfang an herrscht und am Ende wieder genossen wird. Wie in vielen Momenten bei diesem Trio geht es darum, mit dem Raum zu spielen: ihn zu verlassen, ihn zu schaffen, ihn zu füllen“.